#natureselfies

„In dieser Bilderreihe wurden alle Menschen, die sich vor der Kulisse der Natur selbst portraitiert hatten, aus den Motiven digital entfernt, um kein Bild des Menschen im Einklang mit der Natur zu zeigen.”

Die Beziehungen der Menschen zur Natur sind von tiefen Widersprüchen geprägt. So sehr Natur geliebt wird, so sehr wird und wurde sie ausgebeutet. Vor allem aber wird Natur heutzutage fotografiert. Menschen scheinen oft
zu versuchen, im Bild der Natur das zu finden, was sie auch in der tatsächlichen Natur finden wollen: Geborgenheit in einer Idylle, die der menschlichen Vorstellung von Natur zutiefst zu entsprechen scheint. Dabei wird das Bild der Natur mit Apparaten sorgfältig komponiert und zeigt gern einen Ausschnitt, der, durch gefällige Proportionen und von störenden Elementen bereinigt, erste ästhetisierende Korrekturen einer Inszenierung erhält. Und sehr gern positioniert sich der Mensch zentral in dieser Kulisse, fotografiert sich selbst in der Landschaft und wirbt mit dem Reiz der Bildgebung, indem er oder sie das der Natur entrissene und in neue Sinnzusammenhänge gestellte Werk teilt und zwar in ganz eigener Sache in den sogenannten sozialen Netzwerken.

Die Begegnung von Mensch und Natur im Bild hat natürlich ihre Geschichte. In ihrer Gegenüberstellung und Vereinigung entfaltet sich ein Gefüge, das seine Ursprünge in der bildenden Kunst findet. Kunstmaler des französischen Barock, wie etwa Nicolas Poussin (1594 – 1665) oder auch Claude Lorrain (1600 – 1682) modellierten arkadische Landschaften und schufen so Blaupausen idealisierter Naturinszenierung, die stets von der Beziehung der darin eingebetteten Figuren zur sie umgebenden Landschaft und zum Betrachter erzählten und nie über die Natur selbst. So thematisiert in rückblickender Sehnsucht auf ein „goldenes Zeitalter” etwa das „Et in arcadia ego”-Motiv ein mythisches Urbild der Vorstellung von einer ewig mit der Natur vereinten Menschheit. Nicht frei von theatralischem Pathos findet sich diese barocke Geste auch heute in Posen jugendlicher Weltentdecker mit dem Smartphone bei Instagram. Bühnenhaft gleicht die Selbstinszenierung in der Natur einer unbewussten, pastoralen Leistungsschau mythischen, gleichgeschalteten Selbsterlebens in einer von internationalen, urbanen Werten geprägten digitalen Gemeinschaft, die sich selbst nachahmt und spiegelt bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit. Jedes veröffentlichte Bild ist dabei gleichzeitig Abbild und Vorbild für weitere Abbildungen und wirkt als mediales Stimulans zur Nachahmung auffordernd. Das Bild der Natur wird dabei als Attribut der eigenen dargestellten Person genutzt.

Barocke Bildprogramme halfen und helfen, Natur in der Vorstellung der Menschen als virtuelle Größe zu generieren. Schon im Gemälde diente die Natur als metaphorischer Spiegel, als Seelentür zu Selbsterkenntnis und Reife. Die unberührte Natur konnte im Gemälde als Darstellung einer Idee Ausdruck finden. Ihren unmittelbaren dinghaften Ausdruck fand der ästhetisierte Blick auf die Natur seinerzeit in den sogenannten Claude-Gläsern (benannt nach Claude Lorrain). Es handelte sich hierbei um kleine, handliche, konvexe und getönte Spiegel, die über die Schulter des Nutzers gehalten, einen Ausschnitt idyllisch gerahmter Landschaft in Echtzeit zeigen konnten: ein frühes virtuelles Abbild von Natur mit analogen Mitteln.

Eine erhabene Kulisse kann auf Menschen einladend wirken, sich selbst mit Hilfe des Handys dauerhaft in der Natur, in der Wildnis verortet wissen zu wollen, ohne die damit verbundenen tatsächlichen Entbehrungen eines längeren Aufenthalts in derselben in Kauf nehmen zu müssen. Ganz besonders anziehend scheinen Wasserfälle, Flüsse oder das Meer auf Menschen zu wirken. In diese arkadischen Gebiete wird das eigene Abbild gesetzt und fotografiert, quasi als Animismus eingefroren. Diese Geste zeigt, wie hoch die Bereitschaft der Menschen ist, ihrer Vorstellung von sich in der Natur ein pittoreskes Ewigkeitsversprechen zu geben. Naturschauplätze versinnbildlichen Reinheit und Ordnung wie ein Garten Eden und werden als harmonische und paradiesische Gefilde erkannt.

Die formale Nähe von Menschen zu scheinbar intakter Natur hat einen kunstgeschichtlichen Bezug in der Darstellung der Wildleute. Zunächst von Rohheit und ungezügelter Lust im Mittelalter in unchristliche Gefilde paganer Verirrung getrieben, wurde später durch die Deklamation völliger Unschuld und Harmonie wilder Frauen, Männer und Kinder mit der weit abseits von konfliktgeladener Zivilisation erlebten natürlichen Umwelt im frühen 16. Jahrhundert eine positive Konnotation zwischen Wildnis und Menschen erreicht. Befeuert die Energie dieses zeitlosen Bildprogramms auch die Selfies in der Natur des 21. Jahrhunderts? Scheinbar wird in der beginnenden Ära der digitalen sozialen Medien – in der wir uns heute befinden – mit den massenhaft aufgenommenen Selbstportraits das Sujet des Menschen in der Natur abseits der Zivilisation abermals zu einem zentralen Bildthema. Das über soziale Netzwerke geteilte Bild von sich in der Wildnis erzählt einer digital vernetzten Gemeinde lebhaft und in nicht abreißendem Strome vom anthropozentrischen Traum, glücklich und frei mit der Natur vereint zu sein, in ihr zu sein und dort als Bild ewiglich zu verweilen.

„Homo sapiens sapiens ist kein Teil der Natur, sondern ihr Gegner.”

Die scheinbare Harmonie der Selbstinszenierungen in friedlicher, manchmal feierlicher Nähe zur Natur steht damit im verdrängten Konflikt zur tatsächlichen Distanzierung der Menschen von der realen Natur. Im Lebensalltag der Menschen stand und steht die Überwindung der Natur (elektrisches Licht zur Tagesverlängerung, industriell hergestellte Nahrungsmittel, Nutzung fossiler Brennstoffe zur Fortbewegung) und die Hinwendung zur Kultur, zur Künstlichkeit sowie der damit häufig verbundenen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Die Distinktion des Homo sapiens von seiner Umwelt entsteht mythisch mit seiner Vertreibung aus dem Paradies und ist evolutiver Moment der Menschwerdung. Distanzierung zur Wildnis, zum Chaos ist maßgeblicher Teil einer widersprüchlichen Identität, mit der stets Abhängigkeit zur Natur in ambivalenter Opposition zu ihr überwunden werden soll. Allein in seinem Denken entsteht durch Produktion und Rezeption romantischer Bilder ein Glauben an eine ideale Wildnis, die der Mensch am besten im Bild zu finden imstande ist.

Die seit Jahrtausenden fortdauernde Formung, Aneignung und Plünderung der realen Natur setzt sich heute in der Aneignung und Plünderung ihrer visuellen Ressource, des Bildes der Natur fort. Die Dienstbarmachung ihrer ästhetischen Quellen sowie die Reduktion zu einer zweidimensionalen Kulisse für Selbstportraits zeigen, wie sehr sich der Mensch als Bildmittelpunkt seiner Wahrnehmung begreift. Natur wird aufgesucht, um etwas von sich selbst zu erzählen, während die technischen Mittel der fotografischen Verfahren allesamt aus der Zivilisation stammen und auch nur in dieser durch Zugang zu Elektrizität, Internet und Apps verbreitet und wahrgenommen werden können.

„Sie wurden aus ihren bildgewordenen Paradiesen mittels Retusche vertrieben.”

Die fotografische Narration, das eigene Antlitz vor Ort in das Bild der Natur zu „montieren”, ist einerseits ein Beweis, wirklich dort gewesen, aber andererseits auch der Beweis, ihr wieder entkommen zu sein. Das virtuelle Bild, das sich bei der Rezeption zwischen den Betrachter und den Erzähler stellt, ist die Tür, die sich vor der Realität mehr oder weniger kunstvoll schließt und uns auf die schwer wahrnehmbare Grenze zwischen Realität und Bild blicken lässt. Das Medium (Handy, iPad, Rechner) verdeckt durch seine attraktive Bildgebung unsere Wahrnehmung dieser Grenze und bleibt direkt vor unseren Augen unsichtbar. „Wir indessen neigen dazu, den realen Gegenständen die Qualitäten eines Bildes zuzuschreiben.” (Susan Sontag, Über Fotografie. S. 151)
Das Erkennen des Widerspruchs, keine unmittelbare Beziehung zur Natur zu haben wohl aber zu ihrem Bild, wird durch die gesellschaftlich akzeptierte und kohärente Geste des Fotografierens und Teilens von Fotos mit Fremden auf der ganzen Welt überlagert und damit weitestgehend unterbunden.

In dieser Bilderreihe wurden alle Menschen, die sich vor der Kulisse der Natur selbst portraitiert hatten, aus den Motiven digital entfernt, um kein Bild des Menschen im Einklang mit der Natur zu zeigen. Sie wurden aus ihren bildgewordenen Paradiesen mittels Retusche vertrieben. Während viele Menschen Natur lediglich als Kulisse zur Selbstinszenierung achten, schwindet gleichzeitig tatsächliche Natur in ungekannten Dimensionen so dass man denken mag, dass dieser Planet ohne Menschen besser beraten wäre, weil es sich ja sowieso immer alles nur um sie dreht. Oder anders gesprochen: Das Bild der Natur wurde hier um den Faktor Mensch entrauscht, um der eingangs aufgestellten These gerecht zu werden: Homo sapiens sapiens ist kein Teil der Natur, sondern ihr Gegner und hat demnach auch kein Recht, Teil des Bildes von Natur zu sein, solange die Menschen „in den industrialisierten Nationen Wert darauf (legen), fotografiert zu werden, weil sie fühlen, dass sie Bilder sind und durch Fotos wirklich werden.” (Susan Sontag, Über Fotografie. S. 154.) Ein quasi moralischer Akt nachträglicher Bildgebung, ein Korrektiv und zugleich ein humanistischer Gnadenschuss gegen uns im Bild. Jetzt erst sieht man schließlich auch, was bereits in der Realität ganz überwiegend zu gelten scheint: Ohne den Menschen darin darf die Natur ihr eigenes Bild sein.

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Die gesamte Bildstrecke umfasst 14 bearbeitete und skalierte Screenshots vom Tablet.